Seitdem Deutschland 4 zu 0 gegen Argentinien gewonnen hat, bekomme ich unentwegt von allen Seiten Gratulationen, so als ob ich persönlich für den Sieg Verantwortung zeichnen könnte. Der Beisatz lautet meistens: "Jetzt werdet ihr Weltmeister!" Wir Deutschen hier in Rio reiten auf einer Welle brasilianischer Wertschätzung, wie ich sie zuvor nicht erlebt habe. Es mag ja auch daran liegen, dass Deutschland die verhassten Argentinier rausgekickt hat - obwohl von vielen Seiten auch Mitleidsbekundungen in Richtung Maradonna unternommen werden.
Manchmal habe ich die Befürchtung, dass der Eindruck entstehen könnte, als ob wir Deutschen hier in Rio von einem Fan Fest zum nächsten pilgern und uns ansonsten die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Wenn ich also im Folgenden von den leckeren Käsespätzlen auf der ARD-WM-Party vom vergangenen glorreichen Fußballsamstag schwärme, möchte ich auf keinen Fall unerwähnt lassen, dass alle Expats die ich hier kennen gelernt habe, viel mehr und viel härter arbeiten, als sie es aus ihrer Heimat gewohnt sind. Bei einem so schönen Dienstort wie Rio de Janeiro mag da manch einer an ausgleichende Gerechtigkeit denken und hat vielleicht sogar Recht dabei. Sicher erholt man sich in einer Traumstadt wie Rio schneller als anderswo, aber man soll sich von den Fotos mit Bilderbuchkulissen auch nicht täuschen lassen. Hier wird mehr oder mindestens genauso malocht, wie zu Hause - da helfen alle Palmen nichts.
Nun aber zum Spielbericht. Für mich begann das Spiel mit einem persönlichen Ärgernis: Wir waren nämlich zu spät dran und saßen kurz nach dem Anpfiff noch im Auto auf dem Weg zum ARD-Studio im Jardim Botanico. Meine Frau versuchte mich zu trösten und startete ihr kleines Netbook mit Internetstick. "Deutschland hat, glaube ich, schon ein Tor geschossen" hörte ich sie rufen. Sie hatte es tatsächlich geschafft, über Globo.com ein Livebild der Fußballübertragung auf den kleinen Bildschirm in unserem fahrenden Auto zu zaubern, was mein Konzentrationsvermögen auf den rasanten Straßenverkehrs Rios auf eine harte Probe stellte.
Die restlichen 3 Tore genossen wir auf einer wunderschönen WM-Party der ARD. Thorsten hatte nach eigenem Rezept die bereits erwähnten Spätzle vorbereitet und auch leckeres brasiliansches Rindfleisch gab es direkt vom Grill. Der Hammer war, dass auf den zahlreichen Fernsehern im Studiogebäude der deutsche Originalkommentar zu hören war. Welch ein Unterschied zu dem brasilianischen Kommentatoren! Im Vergleich zu den inzwischen für mich gewohnten brasilianischen Kommentatoren hörte sich der deutsche so an, als ob er eine Familienpackung Valium konsumiert hatte. Das Wetter war auch sehr schön und angenehm mild und bestimmt nicht so heiß, wie in Deutschland. Das war jedenfalls mein Eindruck, als ich die Liveschaltung zum Brandenburgertor und die vielen schwitzenden Menschen sah. Lieber Thommy, lieber Thorsten: Vielen Dank für dieses Fest!
Ich bin zwar immer noch ein bisschen traurig, dass Brasilien schon ausgeschieden ist. Auf der anderen Seite erspart mir dieser Umstand die innerfamiliäre Konfrontation, die eventuell entstanden wäre, wenn Deutschland und Brasilien aufeinander getroffen wären. Jetzt, so habe ich den Eindruck, sind viele Brasilianer für die Deutschen und es ist irgendwie schön, gemeinsam auf das Weiterkommen beim nächsten Event zu hoffen.
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Juergen Kuehn (Dienstag, 06 Juli 2010 12:57)
Lieber Robert,
welch ein Wunder, von Dir Berichte über die WM ueber den Atlantik zu bekommen. Auch wenn ich kein Fussball-Freak bin (wie Dein Vater??), schauen wir uns natuerlich die gr. Spiele an u. sind jedesmal ueberrascht, dass d.dt.Team so leicht u. spielerisch, garnicht wie die Panzer, spielt. Wir werden immer latino-aehnlicher, ja eine Zeitung schreibt von d. Brasilianisierung D'lands! Vielen Dank für Deine Berichte. Uta wüsste gern einmal etzwas ueber Deine Schulerfahrung (v.Kollegin z. Kollegen). Gruss an alle
Dein Juergen